CARMEN HILLERS


TEXTE / TEXTS

 

 

 

 

 

 

Über den Zyklus Klangformen von Carmen Hillers

von Steffen Wolf, Komponist und Musiker

Alle Bilder, die zu diesem Zyklus gehören, sind als offfene Werke gedacht – offen zu den anderen KLANGFORMEN und offen dem Betrachter gegenüber, den sie einladen, die Formen und Ornamente über den Bildrand hinaus fortzusetzen. Dies bedeutet zugleich eine aktive Kontaktaufnahme, die zwischen den Bildern mögliche Anknüpfungspunkte und Verbindungen zeigt. Die Formen scheinen sich über die vier Seiten hinaus fortzuentwickeln – auf keinem Bild sind Formen gänzlich eingeschlossen, aufgehoben, begrenzt. Jedes Bild wirkt wie ein Ausschnitt einer bestimmten Klangwelt. Eine der vorausgegangenen Werkgruppen trägt den Titel WAHLVERWANDTSCHAFTEN. Dieser Begriff setzt Kräfte voraus, die getrennte und durchaus gegensätzliche Elemente zueinander in Beziehung setzen. Das kann Anziehung oder Abstoßung bedeuten. Und diese Kräfte sind deutlich auch bei den Bildern dieses Zyklus‘ wirksam. Für die Künstlerin ist deshalb die Betrachtung des Einzelbildes in Kombination zu anderen Bildern sowie die Frage „wie ‚rum?“ von großer Bedeutung – in dieser Befragung zeigen sich die Kräfte, die zur Verwandtschaft drängen. 

 

Als Regelwerk dient ein Alphabet von 6 Formen, die die Künstlerin aus vorangegangenen Arbeiten heraus destilliert hat und auf die sie sich ausschließlich bezieht. Diese Formen werden immer wieder variiert, gedreht, gespiegelt und neu zueinander in Beziehung gesetzt.  Carmen Hillers geht mit ihrem Formenmaterial aber nicht baukastenartig um, sondern spielerisch, zurückhaltend und beobachtend – sie wartet auf das eigenständige Zueinanderstreben der Elemente und greift dies als Impuls auf.

 

 

Die Formen und ihre Proportionen zueinander sind denselben Gesetzen wie die Klänge der Musik unterworfen. Das bekannteste harmonische Verhältnis – der „Goldene Schnitt“ – entspricht beispielsweise dem Teilungsverhältnis der Quinte. Es ist faszinierend zu sehen, wie in Carmen Hillers‘ Klangformen harmonische Grundproportionen bis in Kleinstbereiche vorherrschen, ohne dass diese bewusst geplant wären. Dies ist aber nicht so zu verstehen, dass die Bilder einzig von harmonischen Verhältnissen, d.h. von Wohlklang geprägt wären. Vielmehr setzt die Künstlerin auf differenzierte Weise klassische Proportionen in spannungsreiche Beziehungen zueinander. 

 

Bedenkt man, wie sehr in harmonischer Musik Begriffe des Hinstrebens und Wegstrebens, der energetischen Beziehungen der Intervalle selbst zueinander eine Rolle spielen, ahnt man die Möglichkeit eines Klanges, der darin unterschieden von Musik, nicht der zeitlichen Aufeinanderfolge bedarf, sondern im Bild als Kräftespiel ständig vorhanden ist.

 

Die Klanglichkeit der Proportionen wird verstärkt durch die Leichtigkeit, die der Malgrund, die zarte Voile, den Farben ermöglicht. Indem der Stoff die Farben leicht abperlen lässt, entsteht ein  schwebender, schwingender Eindruck von Farbflächen. Deren Struktur, die Schwingung, der mit kleinen Pinseln aufgebrachten Farbe, erzielt auf das ganze Bild gesehen einen charakteristischen Klang. Das Zusammentreffen dieser sinnlichen und im besten Sinne oberflächlichen Klanglichkeit mit dem bewussten geistigen Spiel von Klang in der Komposition macht den besonderen Reiz dieses Zyklus‘ aus.